Hic sunt dracones? Hic sunt Regellücken? Unerforschte Gassen, unbeschriebene Kontinente, offensichtliche Breschen im Regelwerk. Leerstellen sind oft vielsagender als gefüllte Stellen. Wir untersuchen, was oft fehlt, was fehlen darf, was auf keinen Fall fehlen sollte – und was das Ganze überhaupt soll. Rette uns, Atréju!
Cast: Martin, Carsten, Tanja, Holger Länge: 54:15
Inhalt:
01:12 Überall in Phantásien hat sich das Nichts ausgebreitet!
09:08 George R. R. Buchlücke: berüchtigte popkulturelle Lücken
19:48 Besteht Rollenspiel im Kern aus dem Ausmalen von Leerstellen?
20:36 Leerstellen: physikalisch, narrativ, piratenschatzversteckmäßig?
22:58 „Gestalten Sie den nachfolgenden Kampf spannend“ Ja, danke auch!
37:05 Was ist die Mindestanforderung für die Rollenspiel-Tankfüllung?
50:39 Leerstellen: Segen, Frieden und Entlastung für Regeln und Setting?
Geschenkaktion: Loote den Eskapodcast! (detaillierte Teilnahmeregeln)
Geschenke: Nichts 🙂 (ne, es gibt schon einen kleinen Überraschungsloot)
Mäzenatin: Tanja (Emporion of Games)
Beschreibe uns in den Kommentaren bis zum 11.09.2021, 24 Uhr, die Leerstellen, die dich am meisten ärgern, freuen oder sonstwie beschäftigen! Wie stehst du insgesamt zu weißen Flecken?
Links:
weiße Flecken auf Lorakis (Seifenkiste-Blog)
Tharun, Myranor (wie ist da eigentlich derzeit der Puls bei den Projekten?)
Lodland
Leerstellen in der Literatur
Warum das Nichts immer stärker wird (Atréju vs Gmork, so traurig 🙁 )
Ich finde akustische Leerstellen am wirkungsvollsten.
In Musik, Reden oder Geräuschkulissen schlägt plötzliche Stille immer mächtig rein.
Ein paar Leerstellen im Rollenspiel finde ich wichtig. Die Ausdefinition von Aventurien war natürlich zu viel, ein grobes Raster von Regionen muss eben sein.
Ich möchte bei einem Setting eine Grundidee für eine Region sehen. Ich will wissen, wie die Leute dort leben, lieben und arbeiten. Dann zwei, drei Örtlichkeiten, eine gute Handvoll Personen, ein paar einzigartige Gegenstände und vielleicht noch ein übergreifendes Problem, das bei Bedarf zu einem Kampagnenthema werden kann. Das Ganze bitte schön exemplarisch und nicht erschöpfend, wenn möglich mit ein paar schönen, stimmungsvollen, ästhetischen Zeichnungen, die nicht zu knallig-bunt und nicht zu sehr Comic sind. Dafür reichen in der Regel 30 oder 40 Seiten. Was darüber hinaus geht empfinde ich als unnötigen und ärgerlichen Ballast und wird deshalb von mir auch nicht weiter beachtet.
Auf die Frage im Podcast, wie ich es empfinde, wenn das KAUFabenteuer mich bittet diese Lücke, ob nun Kampf oder Gewölbekeller, selber zu gestalten.
Das empfinde ich als Frechheit … dafür habe ich doch gerade bezahlt, dass ich die Ausgestaltung nicht selber machen muss.
Zuerst das Wichtigste:
Die ausufernde zeitliche Ausgestaltung bei DSA im Hinblick (auch) auf den Metaplot ist eine interessante Betrachtung.
Um die Formulierung aus der Folge aufzugreifen:
Da ist nicht nur jedes Klohäusel beschrieben, sondern auch eindeutig festgelegt, wer da wann kacken war 😀
Thema grobe Gestaltungshinweise in Abenteuern:
„Gestalten Sie den nachfolgenden Kampf spannend“ – das finde ich sowohl frech als auch bemerkenswert. Nicht, weil unter „spannend“ jede Gruppe etwas anderes verstehen könnte und man sich deswegen konkretere Hinweise spart (ähnlich könnte man argumentieren, dass ja nicht jeder Plot bei jeder Gruppe zündet und man daher lieber keinen Plot ins Kaufabenteuer… 😉 ), sondern weil durch diese besondere Hervorhebung impliziert wird, dass es auch Kämpfe gibt und geben darf (oder soll?), die langweiliges Tagesgeschäft sind…
Aber spannende Kämpfe hat man nicht, indem man da Dinge tut, die sie von den langweiligen Kämpfen abheben, sondern indem man die langweiligen Kämpfe weg lässt 😉
Sonstige Ausarbeitungen, die bei mir als Spielleiter abgeladen werden, sehe ich wie Fnord:
Dafür kaufe ich doch FERTIGE Abenteuer. Wenn die noch nicht mal fertig sind (kleine Anpassungen mal außen vor), ist das Konzept irgendwie verfehlt.
Aber gut, tatsächlich kaufe ich sehr selten Abenteuer, mache es also auch ohne explizite (und bezahlte!) Aufforderung selbst 😉
Was die weißen Flecken betrifft:
Ich erinnere mich noch, wie ich zum ersten Mal die Karte von Lorakis (Splittermond) angeschaut und mich gefragt habe, wo die im Vorfeld viel besprochenen weißen Flecken sind.
Die waren dann doch etwas zu klein, um wirklich sinnvolle Spielwiese zu bieten. Eine einzelne Grafschaft oder ein kleines Städtchen lässt sich ja kaum ohne den „umgebenden“ Metaplot denken, auch wenn nichts sich explizit darauf bezieht oder dort spielt.
Da hieß es dann doch zurück zur altbewährten Methode: Startzustand akzeptieren und alles, was danach erscheint, findet ggf. am eigenen Tisch nicht statt.
Insgesamt sind mir Systeme lieber, die nur mit einem „impliziten“ Setting arbeiten, also gar keine ausufernde Weltbeschreibung haben, sondern nur Regelelemente (wie z.B. Zauberlisten, Charakterklassen usw.), die ein konkretes Setting in Grundzügen erkennbar werden lassen. Gerade Systeme wie Warlock! oder Warpstar!, die mehr als nur ein bisschen von konkreten Vorlagen inspiriert sind, sind damit völlig ausreichend ausgearbeitet.
„Against the Darkmaster“ macht es noch mal anders und liefert gleich einen ganzen Baukasten und zahlreiche Hinweise, um damit das eigene Setting zu erstellen. Da ist das „Ausmalen“ der Leerstelle Setting explizit Teil der Spielvorbereitung und des Spiels. Das ist mir allemal lieber als Dutzende Bände Settingbeschreibung.
Fazit für mich: Die Regeln sollten einigermaßen vollständig sein (was auch immer das für den jeweiligen Regelsatz heißt…am Besten liefert der Autor ein paar Zeilen mit, was er sich warum wie gedacht hat), das Setting darf gerne weitgehend Leerstelle sein – das selbst zu ergänzen oder ganz selbst zu erstellen, macht mir so viel Spaß, dass ich diesen Aufwand als Mehrwert empfinde.
Von dieser Folge war ich schon begeistert, bevor ich sie hörte. Mit Phantásien kann man mich immer begeistern, die Unendliche Geschichte ist mein Lieblingsroman. Da habe ich nicht umsonst ein Rollenspiel für geschrieben und arbeite an einer Fate-Umsetzung.
Phantásien ist auch ein gutes Beispiel für die Frage, wie genau eine Welt eigentlich beschrieben sein muss, denn diese Welt ist ja unendlich und kann gar nicht vollständig abgebildet werden.
Die Beschreibung ist dann ohne relevante Lücken, wenn sie genug enthält, dass der Leser versteht, wie die Welt funktioniert. Nicht nur bzgl. der Naturgesetze, sondern auch der narrativen Tropen, der wichtigen handelnden Figuren, der Fraktionen usw. Denn wenn sie das verstanden hat, kann die Spielleitung die Lücken selbst füllen.
Das gilt für mich nicht nur bei Weltbeschreibungen oder Quellenbüchern, sondern auch bei Abenteuern. Wenn im Text steht, da stünde ein Bauernhof und ich solle mir überlegen, wie der aussehe; dann finde ich das legitim. Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon, wie mittelalterliche Bauernhöfe aussahen.
Steht da hingegen: „Aus diesem Nebelhochsitz aus Traumkupfer beobachtete der Dampfgraf früher seinen Jagdvulkan. Heute verwendet sein Sohn ihn, um die verschollen geglaubte Kunst der atlantische Möhrenmagie auszuüben. Die Spielleitung möge sich selbst überlegen, was all diese Substantive bedeuten“, dann ist das schon eine Lücke, oder?
Das Konzept, dass jede beliebige Beschreibung immer noch unendlich viele Lücken lässt, nennt man in der Wissenschaftsphilosophie übrigens die Unterbestimmtheit einer Theorie. Und natürlich kann ich in jeder noch so dichten Weltbeschreibung Lücken finden. Die Frage scheint da eher, ob die Lücken zum Spielstil passen. Spielt man Krimis im viktorianischen England, hat man tausende von Seiten an Geschichtsbüchern als Welthintergrund und trotzdem jede Menge Platz. Möchte man die große Erkundungsreise machen, sind halt irgendwann alle Kontinente bekannt. Sherlock Holmes fand Schurken und keine verschollene Zivilisation voller Dinosaurier.
PS: Tippfehler im Timecode: Phantásien nicht Phantasién!
Mich hat es gefreut, dass ihr das Eherne Schwert als Weißen Fleck angeführt habt. Als junger Rollenspieler wollte ich, da ich gerade den Herrn der Ringe gelesen hatte, unbedingt echte Hobbits in Aventurien haben und nicht nur Hügelzwerge die ähnliche Höhlen haben. Die habe ich dann natürlich hinter dem Ehernen Schwert angesiedelt, einfach weil dort noch Platz war. Aus heutiger Sicht ist die Idee für DSA ungewöhnlich und vielleicht hat sie es damals aus diesem Grund nicht über die Planung hinaus geschafft. Im Nachhinein finde ich das aber schade, denn gerade die eigene Fantasie zu benutzen und sich von beliebigen Quellen inspirieren zu lassen gehört zum RPG dazu. Deswegen finde ich es bzgl. Splittermond gut, dass es überhaupt Gegenden gibt, die nicht beschrieben werden.
Splittermond hat in gewisser Weise auch auf eine andere Art eine Leerstelle gefüllt. Und zwar, indem es ein moderneres eher typisch simulationistisches Fantasy-RPG ist, das manche Dinge einfach besser macht, ohne zu sehr an eine eigene Tradition gebunden zu sein. Es ist von DSA geprägt, aber die Frage, ob man es sich leisten kann z.B. die 3W20 Probe abzuschaffen, weil diese aus stochastischen Gründen schwierig ist, ohne dabei die Spielerschaft zu verprellen, hat sich schlicht nicht gestellt. Das liegt auf der Hand, denn das Spiel hat ja erst eine Edition und keine eigene Tradition, aber gerade dies ist für mich ein Qualitätsmerkmal.
Und bzgl. Splittermond habt ihr als Podcast mit stolzen 180 Folgen auch eine Leerstelle, denn dazu gibt es noch keine Folge, auch wenn es zum Beispiel in dieser 180. oft erwähnt wird. Aber vielleicht kommt ja noch eine 😉
Meine momentanen Lieblingslücken sind die von pbtA (und ähnlichen) Spielen nach dem Motto „play to find out what happens“. Diese Spiele enthalten oft Listen von Vignetten oder Hinweisen, die gerade so viel Inspiration enthalten, dass sie SL und Spielende darin beflügeln, was passieren könnte, aber ohne feste Vorgaben zu liefern. Die Dungeon Starter von Dungeon World, aber auch die Fälle/Threats von Brindlewood Bay oder The Between (alles pbtA) sind ebenso gute Beispiele dafür wie die Szenariengestaltung im Erzählspiel Lovecraftesque. Das lässt genau so viel Leerstellen, dass keine zwei Gruppen dasselbe Abenteuer erleben werden, aber jeweils ähnliche Atmosphäre, Tropes usw.