Folge 181 – Der lange Schatten der Vergangenheit: Historizität und Geschichtsbilder im Rollenspiel

Wilder Westen, Mittelalter, Bronzezeit: Ein Großteil aller Rollenspiele präsentiert sich vor der Folie eines historischen Szenarios. Gilt die Formel Rollenspiel = historische Epoche plus x? Wir prüfen, welchen Schuss Fantastik ein „reales“ Geschichtsbild bereits in sich trägt und welche Jahreszahl genau die richtige ist, um seinen Spielern feuerspeiende, knallrote Drachen unterzujubeln.

Cast: Martin, Carsten, Tanja, Holger Länge: 53:15

Inhalt:
01:05 Geschichtsquiz, yay! – „Was war 800 a.d.?“ (->Kaiserkrönung Cthulhus)
08:06 „Ritter, Ritter, immer nur Ritter!“ – geliebte Lieblingsepochen
14:08 Warum PnP-Texte lesen, die man auch auf Wikipedia finden könnte?
21:34 „Wie weit schießt ein Trebuchet? Was ist überhautp ein Trebuchet?“
25:39 Geschichtsbilder, Geschichtsbewusstsein, Geschichtswissenschaft
32:02 Ist wohl mal wieder gar nix real oder wie? War ja klar.
39:22 Das gute alte Fäntelalter – Lächerlichkeit oder Geniestreich?
43:11 Die schmutzige Praxis: Wie man im Mitteralter voll rulen würde.

Geschenkaktion: Loote den Eskapodcast! (detaillierte Teilnahmeregeln)
Geschenke: Böses kommt auf leisen Sohlen (Schnutenbach)
Mäzenatin: Tanja (Emporion of Games)
Beschreibe uns in den Kommentaren bis zum 25.09.2021, 24 Uhr, wie ihr mit historischen Szenarien üblicherweise umgeht. Auf welche historische Epoche hast du aktuell am meisten Bock?

Links:
Mondlicht ist nur reflektiertes Sonnenlicht! (Perscheid)
Monumenta Germaniae Historica
Babylon Berlin
Wie benutzt man einen Fidget Spinner richtig?
Dorpcast – Folge 185: Geschichtliche Geschichten
Holger springt herum und schießt dabei mit dem Langbogen

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15 Gedanken zu „Folge 181 – Der lange Schatten der Vergangenheit: Historizität und Geschichtsbilder im Rollenspiel

  1. Gerade einen Charakter für Witchslayers 1799 zusammen mit SL gebaut. Die historischen Hintergründe waren cool, SL kommt aus Nürnberg, hat einiges Wissen eingewoben zum Spielort ganz in der Nähe. Mein SC hat in meiner Heimat studiert, wo es bis1810 eine Universität gab. Und so flossen immer kleine Details ein, was Spaß gemacht hat.

  2. Die Spanische Grippe brach im Februar 1918 aus, während des ersten Weltkrieg.
    Man nannte sie Spanische Grippe, weil Spanien das einzige Land war was als erstes halbwegs offen darüber berichtete, während die anderen Kriegsparteien dazu mehr oder weniger den Mund hielten. Tatsächlich entstanden ist sie dann nicht in Spanien sondern entweder in den USA, Frankreich oder China.

    Wobei sie 1919 immerhin noch beherzt dabei war Leute zu töten ^^;

    • Vielen Dank für die Ergänzung! Hatte ich doch glaube ich auch so gesagt, oder?

      Ich fand die grobe Peilung auf 1919 vom Carsten aber echt gut und vor allem gut genug. Die Fragen waren übrigens alle vorher wirklich nicht abgesprochen. 😀

      Falls dir sowas Spaß macht, teste dich selbst, googeln verboten: Wann war der Höhepunkt der Schwarzen Pest in Europa?

      • Es wirkte auf mich so als wärt ihr euch einig das es nach WW I war. Ich weiß das von der Spanischen Grippe auch hauptsächlich wegen Extra Credits Youtube Episoden und COVID ^^;

        Die schwarze Pest hatte auch ein paar Folgen, da habe ich mir aber keine Jahreszahlen gemerkt.

        • 1348 ist das Party-Jahr der Pest. Die Zahl kann man sich mMn auch mal merken, weil das olle Mittelalter ja lang war, und weil das halt schonen einen erheblichen Unterschied machen würde, ob die Pest 1100, 1300 oder 1500 gewesen wäre.

    • Eine kleine Ergänzung, es verwirrt mich etwas, dass ihr nur über fantastische Rollenspiele wie DSA, Cthulhu und Vampire redet.

      Wäre es für das Thema nicht interessant auf Rollenspiele wie bspw. Montsegur 1244 zu werfen? Welche den expliziten Ansatz haben die geschichtlichen Ereignisse so historisch wie möglich zu vermitteln.

  3. Also erst einmal – eine sehr schöne Folge.

    Zur Zeit liebe ich es Rollenspiel in den 1880ern zu spielen. Diese Zeit des Fortschritts und des Umbruchs finde ich sehr spannend. Und das schöne dabei ist, es gibt Karten, Fotos, Bücher, Gedichte uvm. die recht leicht im Internet zu finden sind. Man muss kein Quellenbuch bemühen. Das finde ich sehr entspannend.

    Spannend zugleich finde ich viele kleine Details mit denen ich mich beschäftigen kann. Es ist erstaunlich, welche Erfindungen es damals gab, die im Laufe der technischen Evolution wieder untergegangen und verschwunden sind.
    Ich habe da auch überhaupt nicht den Anspruch historisch korrekt zu spielen. Mir ist nur wichtig ein historisierendes Gefühl zu transportieren, so dass alle Mitspielende ein gemeinsames Bild der Spieleszene haben. Und die Details bieten dann das historisierende Flair.
    Hier bietet sich (für mich) besonders das Rollenspiel „Abenteuer 1880“ bzw „Midgard 1880“ an, da die geschichtlichen Hintergründe recht gut im Sinne des Rollenspiels recherchiert wurden.
    Ein schöner Punkt im Umgang mit historisierendem Rollenspiel ist, dass man sich als SL stets überlegen muss, welche Auswirkungen diese historischen „Fakten“ auf den normalen Alltagsmenschen hatten. Was dachten diese Menschen, welche Konflikte hatten sie und was waren die Folgen daraus? Wie betrifft dies meine Spielerfiguren? Das sind Fragen, die jedenfalls in meinem Geschichtsunterricht zu kurz kamen, aber eigentlich das Spannende am Geschichtswissen sind.

  4. Ich nehme es berufsbedingt eigentlich eher genau mit Historie und spiele meist auch realweltliche Settings. Auch im Rollenspiel nehme ich mir viel Zeit, die historischen Fakten zu recherchieren. Dann schalte ich allerdings in den „was-wäre-wenn“ Modus und überlege, welche interessanten Zusammenhänge und spannenden Konflikte sich daraus im Spiel ergeben könnten und werfe meine Spieler da hinein. Sie dürfen sich dann auch austoben, wobei ich es schön finde, wenn sie ihrer Rollen entsprechend spielen.

    Momentan reizt mich als historische Epoche die Frühe Neuzeit am meisten.

  5. Also die Epoche, die mich aktuell am meisten interessiert, ist gar nicht historisch, sondern prähistorisch. Es würde mich sehr reizen, mal steinzeitliche Jäger und Sammler zu verkörpern. (Zur Erinnerung: Die Geschichte beginnt per Definitionem mit der Entstehung schriftlicher Quellen.)
    Wenn es aber wirklich historisch sein soll: Als jemand, der auch gerne mal ernstere Themen im Rollenspiel hat, möchte ich auch seit Jahren „Im Westen nichts Neues“ mit Fate spielen: https://faterpg.de/2017/02/im-schicksal-nichts-neues-lichtsbringers-adaption-der-schrecken-des-krieges/

    Ich überlegte beim Hören der Folge auch, welche Epoche der (westlichen) Geschichte wohl am stiefmütterlichsten im Rollenspiel behandelt wird. Und ich glaube, ich kenne die Antwort: Weil die Spielerschaft eher altert und weil erfolgreiche Rollenspiele oft schon sehr lange auf dem Markt sind, scheint das mir jene Geschichte, die in der Frühzeit des Rollenspiels noch Jetztzeit war. Den alten Säcken kommt das nicht wie Geschichte vor, aber ich bin z. B. 85er-Jahrgang und kann mich daher kaum daran erinnern, dass es mal zwei Deutschlands gab. Die Rote Armee Fraktion ist für mich nicht weniger historisch als die Reichswehr. Und die jungen Leute, die die RocketBEANS ins Hobby bringen, erinnern sich nicht mehr an eine Zeit vor dem WWW.

    Als Ehemann einer Historikerin, deren einer Arbeitskollege auch in meiner Runde sitzt, amüsieren mich die unsinnigen Ideen des Fäntelalters schon sehr. Ich versuche aber, die nicht mit der Holzhammermethode vorzupredigen, sondern baue die einfach korrekt ins Spiel ein, wenn ich leite.
    Zum Beispiel:
    1) Sind bei mir Bogenschützen keine Schwächlinge, sondern brauchen Armkraft.
    2) Ist Gold sehr schwer und jeder, der als vertrauenswürdig gilt, verwendet Zahlungsversprechungen.
    3) Sind die Gewinnmargen beim Fernhandel exorbitant, weshalb meine SCs aktuell keinerlei Geldsorgen mehr haben.
    4) Ist Lampenöl ohne Docht nicht entzündbar, genauso wie Kerzenwachs.
    5) Sind Spielkarten vor der industriellen Revolution sehr teuer und ein Vergnügen für die Oberschicht.
    6) Hat jede Stadt einen Agrargürtel, der sie ernährt, oder massive Handelvolumina, um an Essen zu kommen.
    7) Leben die meisten NSCs in der echten traditionellen Familie. Vom Anbeginn der Menschheit bis zur industriellen Revolution hatte eine gesunde Familie nämlich zwischen 100 und 150 Mitgliedern.

    Ich denke, viele Falschvorstellungen im Fäntelalter kommen daher, dass auch wir Europäer gerne von den Amerikanern abschreiben. Und die Amis haben einfach keine Ahnung vom Mittelalter. Wenn sich Amerikaner Mittelalter vorstellen wollen, stellen sie sich den Wilden Westen vor. Das klingt gemein, ist aber durchaus mein Ernst. Ganz viele Tropen des Fäntelalters kommen in Wirklichkeit aus jener Zeit.
    Das gilt nicht nur für die Darstellung des Realen, sondern auch des Fiktiven. Ich weise gerne immer wieder darauf hin, dass klassische Fantasy mitnichten tolkienesk ist, sondern D&D-esk und ein klar amerikanisches Genre.

    Ich erlebe heutzutage wenig Diskussionen am Spieltisch. Ob das an größerer Reife liegt oder einfach daran, dass man alles kurz im Telefon nachschlagen kann, weiß ich nicht. (Auf jeden Fall googeln wir überraschend oft, was Tiere wiegen. Es begann mit dem Gewicht eines Pferdes, aber einer der Charaktere ist sehr tierlieb und so war es auch schon wichtig, was eigentlich ein Frettchen oder ein Nashorn wiegt.)

    PS: Weil es auch ein wichtiges Stück Geschichte ist, erinnere ich daran, dass am 26. September Petrow-Tag ist. (www.petrow-tag.de)

  6. Schwierig, schwierig …
    Wir haben Cthulhu now immer genau heute begonnen. Das war dann gar nicht so schwer. Wie heute auf dieser westlichen Welt der Stand der Kultur und Technik ist, konnte ich gerade so vermitteln.

    Aber sind Welten ,wie Deadlands oder Warhammer Fantasie, noch als historische Epoche im Sinne der Frage zu werten. Diese Welten haben so viel Charme, weil sie zwar fantastische Welten sind, aber eben so dicht die Klischees der geschichtlichen Phase abgreift.

    In beiden Welten spiele ich gerne und leider zu selten….

  7. Danke, eine wirklich gute Folge zu einem Dauerthema.
    Der Begriff Fäntelalter tauchte Anfang der 2000er im LARPforum auf. Es war der Schlussstrich unter den Grabenkämpfen zwischen Reenactors (historisch korrekt bis zum Kochlöffel) und denen, die alles sehr frei interpretierten. Es ging in erster Line damals um den Dress-Code; denn es gab damals kaum historische Quellen im Internet und die Händler beschränkten sich oft auf das Piraten-Schnürhemd und Biker-Lederschnürhose aus der Herkules-Serie. Das „Buch der Gewandungen“ half auch nur denen, die über eine (Hobby-)Schneiderausbildung verfügten.
    Mit „wir leben alle im Fäntelalter“ wurden diese leidigen Diskussionen beendet. Zumal es im echten Mittelalter auch keine Magie gab. Mit den HDR-Filmen wurde damals das Gewandungs-Level erheblich angehoben, da nun auch die Nichthistoriker auf einmal eine tolle optische Grundlage hatten. Elfen sahen nicht aus mehr wie die pummelige Gummiohrvariante von Kevin Sorbo.

    Beim DSA gab es schon oft diese Diskussionen. Da Aventurien ein Themenpark ist, wo ich vom Wikinger bis zum Musketier alles nebeneinander finden kann, sind die historischen Frage noch viel schwerer zu beantworten.

    Bei Cthulhu liebe ich den historischen Aspekt, der die Welt greifbarer macht. Mit Grauen denke ich an eine CoC Runde zurück wo der/die SL schlecht vorbereitet war: „In welchem Jahr spielen wir?“ SL: „Hmm … wir spielen in den 1920er“ „Dann spiele ich einen Ex-Soldat aus dem großem Krieg“ SL: „Öhm … ne, der Krieg hat noch nicht angefangen.“ „Also dann vor 1914“ SL: „Ja genau“ „Wir könnten ja gemeinsam ins Kino gehen. Da gab es doch den Film Untergang der Titanic“ „Oh toll, das machen wir. Der kam ja schon 1912 raus“ SL: „Öhm, das geht nicht. Für das Spiel ist es wichtig, dass die Titanic noch nicht untergegangen ist.“ (Anmerkung: das Abenteuer spielte später auf der Titanic und der Titel wurde aus Überraschungsgründen verheimlicht).
    Bei Abenteuern mit historischem Ereignis sollte man schon dicht an den Jahren bleiben. Aber ob 1922 jeder Krämerladen schon ein eigenes Telefon hatte, kann man gerne unscharf sehen.

    PS: Liebe Millenials, man konnte früher mit einem Telefon wirklich nur telefonieren. 😉

  8. Es gibt diesen Spruch: „Spiele mit Physikern kein Star Trek, mit Historikern kein Fäntelalter und mit Polizisten/Soldaten kein Shadowrun“. Das führt nur zu langweiligen Diskussionen. 😉
    Aber ernsthaft: Man muss sich halt auf ein Level einigen, so dass der „Sense of Wonder“ bei allem ungebrochen ist. Das ist leider nicht so einfach. Und als Autor muss man sich auf sehr kritische Leser einstellen. Es ist erstaunlich auf welche Details angesprungen wird.

    Ich selbst spiele am liebsten in reinen Fantasie-Welten. Bei historischen Settings sind mir die alltäglichen Stolpersteine wie Gleichberechtigung, Rassismus und ähnliches zu dominant um es länger spielen zu wollen. Das habe ich schon genügend im echten Leben. 😀

  9. „Spiele mit Physikern kein Star Trek, mit Historikern kein Fäntelalter und mit Polizisten/Soldaten kein Shadowrun“

    Nuojah…von einem („)Experten(„) darf man mMn allemal erwarten, dass er
    a) erkennt, wann ein Fehler oder eine Ungenauigkeit völlig bedeutungslos ist und daher ignoriert werden kann
    und
    b) da, wo ein Fehler nicht egal ist, mit einem brauchbaren Lösungsvorschlag (bei Spielmechanik auf gleichem Detailgrad ohne große Verrenkungen) aufwarten kann.

    Pauschalkritik und Blockadehaltung haben nichts mit Fachwissen zu tun, sondern mit fehlgeleitetem Profilierungswillen. Besser machen oder Klappe halten – erst recht, wenn es irgendwelche Nebenschauplätze sind, wo sich die Fachleute selbst nicht ganz so einig sind.

    Zur Frage:
    Der Zeitraum von ca. 1880 bis 1940 gibt für Abenteuergedöns mit leichten fantastischen Einsprengseln mMn ziemlich viel her und wird kaum im Sinne der Fragestellung behandelt. Was es in der Richtung gibt, ist entweder irgendwas mit Cthulhu oder hat so dick Pulp-Soße drauf, dass es für diesen Kontext nicht so recht zu gebrauchen ist.

    Und Lichtbringers Gedanke ist auch nicht verkehrt – so grob das dritte Viertel des 20. Jahrhunderts oder etwas später (sagen wir Mitte 60er bis frühe 80er) ist auf manchen Gebieten erstens eine wahre Goldgrube und zweitens aus heutiger Perspektive tatsächlich fast schon eine andere Welt.
    Da gab es früher ein bisschen was Historisches (also damals Zeitgenössisches 🙂 ) auf dem Sektor militärisches Rollenspiel u.A. rund um den Vietnamkrieg und den Kalten Krieg, aber das ist ja auch alles längst in der Versenkung verschwunden.

    Gerade die Schiene Spionage und (Counter-)Terror gibt für die Zeit ziemlich viel her und ich hätte durchaus Lust, auf dem Gebiet mal in den Details zu wühlen und ein bisschen was anzubieten (und andersrum habe ich sowieso in letzter Zeit das eine oder andere Buch gelesen, welches das Interesse generell angefacht hat).

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