Folge 182 – „You seem trustworthy!“ – Nachrücker, Ersatzfiguren und Reservehelden

Wahres Rollenspiel lebt vom Wagnis, dröhnt eine rollenspieltheoretische Denkschule. Meine Figur nervt, ich will eine andere, jammert der enttäuschte Spieler. Der Wechsel der Figur, ob willentlich oder erzwungen, ist in der heutigen Rollenspielpraxis so präsent wie seit Langem nicht. Wir untersuchen die Hintergründe, die Auswirkungen und geben Tipps für die Praxis.

Cast: Martin, Carsten, Tanja, Holger Länge: 57:05

Inhalt:
00:31 Wann wird der Eskapodcast endlich wieder lustig wie früher?
14:59 Gerüste von Figuren: Gespinste aus Daten und Narrationen?
21:48 Entfesselungsprobe für Gefangene ihrer Rollenspielsozialisation!
30:31 Warum werden Rollenspielfiguren ausgewechselt`?
35:54 eine Figur reibungsfrei, geschmalzt und geschmeidig auswechseln
45:47 „You seem trustworthy!“ – Motivationslücken
54:49 Gretchenfrage: Darf der Newcomer die Ex-Figur looten?

Geschenkaktion: Loote den Eskapodcast! (detaillierte Teilnahmeregeln)
Geschenke: Menzoberranzan (DnD5e)
Mäzenatin: Tanja (Emporion of Games)
Beschreibe uns in den Kommentaren bis zum 09.10.2021, 24 Uhr, was du über den Austausch von Figuren denkst und welche (eigenen oder fremden) Erfahrungen du damit schon gemacht hast.

Links:
Eskapodcast – Folge 42: Helden formvollendet abmurksen
Eskapodcast – Folge 85: Heldengruppen optimal zusammenstellen
Eskapodcast – Folge 80: Death Frost Doom
Call of Cthulhu: Die oberen 10.000 (u.a. von unserem Carsten!)
Paranoia (Ulisses)
Sunless Sea (Steam)

Download der Folge als mp3 ] [ Archiv ]

9 Gedanken zu „Folge 182 – „You seem trustworthy!“ – Nachrücker, Ersatzfiguren und Reservehelden

  1. Schönes Thema!
    Ich gehöre auch zu den Spielern, die wenig Spielfiguren durch den Figurentod verloren haben.
    Ich habe in zwei Kampagnien, nicht am Ende, sondern mittendrin Figuren in den Ruhestand geschickt, weil es in die Hintergrundgeschichte passte.
    Dass fand ich eine harte Entscheidung, als der Barbarenkrieger, dessen Mission war, Saatgut und Technologie für sein abgeschiedenes Volk in der moderneren Welt zu besorgen, dann wirklich wieder nach Hause kam, und dort nach ein paar Turnierkämpfen neuer Häuptling wurde. Die Kampagnie für die restliche Gruppe ging aber weiter und ich nahm eine vollspielbare, liebgewonnene Figur für seinen Hintergrund aus dem Spiel. Das tat echt weh!

    Als Spielleiter ist es ganz angenehm mit Organisationen im Hintergrund zu arbeiten, die dann neues Personal schicken. „Agent 002 wurde gefressen, wir schicken Agent 006“. Organisationen erleichtern natürlich auch den Abenteuereinstieg. Bei CoC gibt es hier Delta Green oder die Janus-Gesellschaft. Im Fantasybereich sind Gilden ganz gut oder bei Shadowrun, wird einfach von Herrn Schmidt ein Team zusammengestellt, dass bei ersten Verlusten ggf. auch neue Runner nachmieten kann.
    Andererseits sind solche Einstieg immer recht unpersönlich und das auch viel Spaß rauben, weil die Figuren nicht persönlich involviert sind.

    Ich habe als SL auch das Problem, was mache ich mit Figuren, die so schwer verletzt sind, das sie temporär nicht mitspielen können, aber eben nicht ganz ersetzt werden müssen.
    Bei dem Berganstieg zu Höhle des Monsters (zum Zwischenshowdown bei CoC) stürzte eine Figur ab und verletzte sich so schwer, dass er für 1-2 Wochen in Krankenhaus musste.
    Der Spieler ohne Figur übernahm den Sheriff, der den Sturz untersuchte und die Spielerfiguren in die Höhle des Monsters folgte. Am Ende mutierte der Sheriff zu einem anderen Mythosmonster , dass das erste Monster vertrieb.
    Das Monster gegen Monster -Ding war eine railroadige Vorgabe des Abenteuers, aber für die Spieler war es ganz nett, nicht ein Überraschungs -NSC sind eine Spielfigur das Monster war.
    Danach war die erste Spielfigur wieder auskuriert und konnte in der Kampagnie weitermachen.

  2. Generell stehe ich dem Austausch von Figuren recht pragmatisch gegenüber – für mich ist klar, dass das ingame-Geschehen da auch einfach mal dem Spieltisch zu folgen hat und fertig.
    Dementsprechend mache ich keine übermäßig großen Verrenkungen in Sachen Rechtfertigung u.Ä., aber ich spiele auch vieles, wo ein gewisser Personaldurchsatz völlig normal ist.
    Wenn die SCs Angehöriger irgendwelcher Behörden o.Ä. sind, ist es sowieso unproblematisch, dass mal ein neues Gesicht auftaucht. Und auch sonst ist eine gewisse Schnelllebigkeit und steter Wandel innerhalb einer Gruppe der Normalfall, sei das jetzt bei Traveller, Shadowrun oder sonstwas.
    Da ist für mich gefühlt der „typische“ Anspruch, dass eine Heldengruppe über eine ganze Fantasy-Kampagne genau so bestehen bleiben soll, eher die Ausnahme.
    Und auch in der Fantasy-Ecke gibt es genug Regelwerke, die gegen diese vermeintlich typische Perspektive agieren.
    Pendragon hat z.B. explizit Regeln für das Ersetzen einer verstorbenen Figur durch ihren Nachkommen oder in völliger Ermangelung von legitimen Söhnen oder Bastarden auch durch den Knappen (der wird aber mit seiner „Beförderung“ zum Ritter noch mal wertemäßig deutlich aufgebohrt).
    Ars Magica arbeitet mit einem SC-Ensemble (da gilt also das in der Folge angesprochene 1:1-Prinzip nicht) und auch für andere Settings drängt sich das ziemlich auf – sei es die grundsätzliche Trennung von hohen Führungspersönlichkeiten und Handlangern/Frontschweinen oder eben ein Grundstock von NSC im näheren Umfeld, aus dem jederzeit temporär oder permanent einer übernommen werden kann.

    Das Nachrücken des Knappen bei Pendragon haben wir auch schon mal temporär gemacht: Eigentlich sind die Abenteuer da recht kurz zu halten, um Leerlaufzeiten für die Spieler schwer verletzter Ritter zu minimieren.
    Jetzt wurde aber einer der Ritter kurz vor einer großen (und damit auch am Spieltisch zeitraubenden) Schlacht verwundet und fiel aus. Der Spieler hat dann kurzerhand den Knappen beschließen lassen, sich in die Rüstung zu werfen und dort als sein Herr aufzutreten, um ihm die Blöße zu ersparen, die Schlacht verpasst zu haben.
    Der Knappe hat sich dann trotz unterirdischer Werte ganz gut geschlagen und weil XP bei Pendragon sowieso „externer“ Ruhm sind, war es nur folgerichtig, dass der tatsächliche SC die Punkte einheimst… 😀

  3. Ich bin da sehr pragmatisch mittlerweile, wenn ein Char rausfällt kann der Spieler anstandslos einen neuen Char mitschicken. Das finde ich auf jeden Fall besser, als das der Spieler z.B. 1 Stunde warten muss, bis sich eine gute Situation zur Einführung des neuen Chars ergibt. Outgame-Spielspaß ist für mich wichtiger als Ingame-Stimmigkeit, gerade bei Fantasy- oder Sci-Fi-Welten findet sich immer eine Begründung (oh, Teleport..) wenn man nur will.
    Zudem kann ein aufmerksamer Spielleiter auch je nach System Vorkehrungen treffen, damit es gar nicht erst so weit kommt (aber das entführt die Diskussion dann möglicherweise zu weit).

  4. Ich finde die Plausibilitätsfrage wird deutlich überbewertet. Natürlich sollte das auftauchen eines neuen Charakters in der Geschichte stimmig sein, aber ich folge dabei ja ( zumindest in meinen Spielrunden ) der Plausibilität von Kinofilmen. Die Helden kommen genau dann an wenn das dunkle Ritual im Gange ist. Nicht davor und nicht danach. Wie unglaublich unwahrscheinlich ist dass denn ? Aber es erhöht ungemein die Spannung und den Spielspaß. Und wenn wir es grob betrachten geht es letztendlich nur darum, man will spaß haben.

    Ich kann mich deshalb auch nur meinen Vorrednern mit der pragmatischen Lösung anschließen. Wenn man möchte, und der Plot es zulässt, kann man ja die anderen Spieler miteinbeziehen, wenn es darum geht eine stimmige Geschichte zu gestalten warum ausgerechnet dieser Charakter gerade jetzt da ist wo er ist. Und in meiner Gruppe sind wir uns alle einig dass es nichts schlimmeres gibt als 2 Stunden zuzusehen und darauf zu warten am Spiel teilhaben zu können.

  5. Wieder einmal eine sehr schöne Folge.
    Wenn ich bei mir nachdenke, welcher Charakter von mir am längsten gespielt wurde, dann ist das tatsächlich auch ein Cthulhu-Charakter. Der hat es tatsächlich von „Auf Cthulhus Spur“ (Edition 1) bis zur aktuellen Edition überlebt und ist noch immer nicht wahnsinnig geworden. (naja, wir haben wohl schon immer etwas pulpiger gespielt)
    Bei OneShots ist grandios heldenhaftes Sterben natürlich schon mit ins Konzept eingebaut. 😉

    Beim Wechseln bzw. Einwechseln von neuen Charakteren kommt es bei mir auf das Rollenspiel/Genre an. Bei Fantasy tu ich mir da leichter. Da wird schnell etwas hinzugedichtet und dann schmerzlos eingewechselt. Logikbrüche sind hier egal, Hauptsache die Geschichte kann weiterlaufen.
    Bei Cthulhu, oder auch bei anderen historisierenden Rollenspielen wird es bei uns schön atmosphärisch und logisch umgesetzt. Entweder übernimmt ein Verwandter oder aber ein Mitglied der Loge und manchmal auch eine außenstehende Person, die ungewollt in das Abenteuer hineingestolpert ist den freigewordenen Platz. Es muss dann eher in die Geschichte hineinpassen.
    Besonders schön gelöst finde ich den Ansatz des neuen „Star Trek“ Rollenspiels. Dort gibt es Nebencharaktere, die dann gespielt werden, wenn es z.B. unlogisch ist, dass bei der Mission der Captain oder der Schiffsarzt mit dabei ist. Auch wenn sich die Gruppe trennt, sind immer Techniker, Wachen oder anderes Personal mit dabei, die kurzzeitig übernommen werden können, damit niemand länger am Tisch sitzen und nur zuschauen muss. Diese Nebencharaktere können sich auch in gewissem Ramen von Abenteuer zu Abenteuer entwickeln und mehr „Farbe“ gewinnen.
    Eigentlich eine feine Sache, die ich so noch nicht bei anderen Rollenspielen gesehen habe.

  6. Ich finde es bezeichnend, wie sehr der Austausch der Figuren am Ende doch am Thema Figurentod hängt. Irgendwie scheint das der Standard zu sein, die die meisten eigentlich gar nicht haben wollen. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass die meisten Leute Systeme spielen, die nicht gut zu ihren Vorlieben passen. Oder dafür, dass die meisten Spieler nicht wissen, was sie in Wirklichkeit wollen.

    Ich mag ja hier den Ansatz von Fate. Bei Fate bedeutet, ausgeschaltet zu werden, erst einmal nur, dass die Gegenpartei das Erzählrecht hat. Das kann der Figurentod sein, aber wie das Regelwerk der SL explizit rät, ist es oft viel interessanter, die Figuren durch die Hölle gehen zu lassen als sie zu selbiger zu schicken.
    Zum Beispiel wurde in meiner aktuellen Kampagne eine Figur im Kampf gegen einen untoten Schwarzmagier ausgeschaltet. Ich hätte sie töten können. Aber stattdessen entschied ich, dass sie bewusstlos zu Boden ging und ein schleimiger Pilz ihre Atemwege überwucherte. Das erzeugte einerseits Stimmung, band aber auch andererseits direkt eine weitere Figur. Die Mitspieler hatten nämlich die Wahl, ob sie ihren Kumpanen sterben lassen oder einer von ihnen den Kampf lässt, um stattdessen den Pilz daran zu hindern, die ausgeschaltete Figur zu ersticken.

    Übrigens sieht man die Abneigung der meisten Runden zum Figurentausch ganz gut, indem man einfach mal versucht, seine Figur sterben zu lassen. Ohne dieses Ziel der Spielleitung mitzuteilen und ohne sich komplett suizidal zu benehmen, die Figur plausibel sterben zu lassen, kann durchaus schwierig sein, weil die SL das immer zu vermeiden versucht.

    PS: Was ist schwarz-weiß und schaukelt? – Ein Schwinguin.

  7. Ein schönes Thema, und ich mag den „Gamers“-bezug im Namen 🙂

    Bei mir hat sich das Thema über die Jahre, ach was, Jahrzehnte, gewandelt. Ich habe außerdem eine sehr spielleiterische Sicht darauf, weil ich meistens den SL gebe und seltener selbst spiele. In meiner frühen Rollenspielzeit fand ich das irgendwie wichtig, dass die Gruppe so wie sie zusammengesetzt ist, auch bleibt. Vor Augen hatte ich da meistens die noch vor uns liegende große Kampagne, bei der es halt irgendwie blöd ist, wenn zwischendurch das Personal wechselt (ich mochte das auch bei Serien nie, wenn wichtige Figuren ausscheiden und durch andere ersetzt werden). Irgendwie habe ich mit Spielerwünschen, den Charakter zu wechseln immer gefremdelt. Gerade auch wenn dann solche Themen wie die Start-Erfahrungspunkte für die neue Figur ins Spiel kommen. Da habe ich in Begriffen wie Konsistenz, „Logik“ (wo soll denn der jetzt herkommen?) usw. gedacht.

    Heute sehe ich das deutlich entspannter. Jede und jeder sollen spielen, was sie gerne möchten. Und wenn sie keinen Spaß mehr dran haben oder Dinge im Spiel das Weiterspielen nicht mehr möglich machen, dann einfach mit Elan auf die nächste Figur stürzen. Ich spiele auch durchaus mal sowieso gerne „play to lose“-Ansätze, von Cthulu-One Shots, bei denen man draufgehen kann bis zu Spielen wie z.B. Ten Candles und finde das echt spaßig.
    Ich glaube, im Spiel „Blades in the Dark“, bei dem man als Gruppe eine Verbrecher-Gang verkörpert und durchaus wechselnde Figuren spielen kann, heißt es sinngemäß ungefähr: „Spiele deine Figur wie ein gestohlenes Auto. Hab Spaß damit, tritt sie, schone sie nicht und lass sie am Ende einfach irgendwo stehen.“ Mir gefällt dieser Ansatz 🙂

  8. Vor einigen Jahren war ich mal Teil der berüchtigten Donnerstagsgruppe, die sich dadurch auszeichnete sehr entspannt und ohne großen Ernst oder Anspruch zu spielen. Außerdem gab es relativ viel Fluktuation der Mitspieler. Der SL kam dadurch auf die Idee, dass die SCs die gerade nicht da waren in der Spielwelt durch ein spontan entstehendes Schwarzes Loch eingesogen wurden. Bis sie wieder mitspielten lebten die SCs in einer Art Zwischendimension, die im Grunde aus absoluter Leer und Dunkelheit bestand. Es gab nur den Boden auf dem man stand, egal wohin man dort ging, man kam immer wieder an die selbe Stelle zurück (also zu anderen Gestrandeten, die sich nicht bewegt hatten). Sie kamen von dort zurück, wenn sie wieder mitspielten, wurden sozusagen von dem Schwarzen Loch wieder ausgespuckt. Ich fand das war eine gute, kreative Lösung – besser als den SC als NSC weiter mitzuführen. Bin ebenso für einen pragmatischen Umgang mit neuen SCs.

  9. Also auch ich habe eine Figur auf die Auswechselbank geschickt als Spieler. Ich habe ganz einfach das Gefühl gehabt, dass ein vorgefertigter Charakter, welcher schon Eigenschaften beschrieben hat, die er eigentlich erst mit Level 5 bekommen soll, und mit Level 1 startet, hat man einfach zu wenig Entscheidungsfreiheit.
    Ich finde die vorgestellten Charaktere aus dem Leitfaden für junge Abenteurer nur bedingt spielbar, zumindest als Level 1 Charakter.
    Dagegen sind die Beispiel Charaktere aus dem Einsteigerset für Spieler*innen grandios.
    Die Illustration und Aufmachung und Erklärung sind gut gelungen und absolut empfehlenswert.
    Ich finde es absolut genial, was D3 und Freunde hier anbieten.
    Auch wenn ich noch nicht zu lange in der Rollenspielszene bin, kann ich die Community auch rund um DnD auf Deutsch und dem Eskapodcast nur Danke sagen 🙂

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